Fragen an den Landesbischof der ev. luth. Landeskirche Hannovers Ralf Meister

Die Fragen entstanden u.a. durch die spezielle Auseinandersetzung mit der Figur des Petrus in der Passionsgeschichte.

1. Wie bewegt es Sie, dass Petrus als „der stärkste Jünger“ Jesus verleugnet hat?

Petrus, der Fels, der Fischer mit den Führungsqualitäten, hat es nicht geschafft. Dieser sonst so mutige Mann, der den Mund ab und zu mal zu voll nimmt, verstummt. Drückt sich. Verleugnet den, für den er ins Gefängnis und in den Tod gehen wollte. Keiner der Apostel scheint Jesus so beeindruckt, aber keiner scheint Jesus auch so enttäuscht zu haben wie Petrus. Und trotzdem heißt es schon vor dem Verrat: „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.“ Jesus nimmt nichts zurück von seinem Auftrag für Petrus. Die Hähne, die wir auf vielen Turmspitzen unserer Kirchen finden, erinnern uns daran: Wir sind Glaubende in aller Versuchung. Zeugen mit Widersprüchen. Darin haben wir Erbarmen genauso nötig wie Petrus. Und wir leben von der Zusage, die Petrus gegeben wurde.

 

2. Was sagen Sie dazu, dass für manche der Eindruck entsteht, unsere Gesellschaft entwickele sich so, dass Christen aufgrund von sozialem Druck in der Öffentlichkeit nicht zu ihrem Glauben stehen?

Ich glaube nicht, dass es eine soziale Ausgrenzung des Christentums in unserer Gesellschaft gibt. Vielmehr erlebe ich eine Neugier auf Religion. Immer wieder erzählen mir Christinnen und Christen, wie sie, wenn sie sich als religiöse Menschen „geoutet“ haben, in interessante Gespräche verwickelt worden sind. Es scheint mir eher so, dass wir Christen selbst scheu geworden sind, offen und unmittelbar von dem Grund unseres Glaubens, von Jesus Christus zu erzählen. „So sind wir nun Botschafter an Christi statt“ fordert uns der 2. Korintherbrief auf.

 

3. Gibt es Momente, in denen Sie ähnlich wie Petrus nicht Ihren Idealen entsprechen?

3.1 Wie gehen Sie mit solchen Situationen um und wie können andere damit umgehen?

Ich scheitere jeden Tag. Immer wieder gibt es Vorstellungen, Ideale, denen ich nicht entspreche. Früher hat mich das sehr geärgert, auch wütend gemacht. Inzwischen gehe ich damit gelassener um. Ich denke daran, mit welchem Blick Gott auf mich schaut. Er sieht meine starken und meine schwachen Seiten. Er kennt meine Möglichkeiten und er weiß um meine Grenzen. Mit diesem Blickwechsel gelingt es mir, gelassener mit meinen Fehlern umzugehen. Sie sind nicht ok und ich muss daran arbeiten. Aber sie gehören auch zu meinem Leben.

 

4. Meinen Sie, dass sich Pontius Pilatus schuldig macht, obwohl er versucht hat Jesus freizulassen?

Pilatus versucht, den Ausbruch der Gewalt zu kanalisieren. Es wird anschaulich von Bach gezeigt, wie sich in einer Masse die Gewaltdynamik steigert, bis es keinen anderen Ausweg mehr gibt und sie sich entlädt in einer Gewaltorgie, die mit Folter und Geißelung, mit Spott und Hohn zum Mord führt.

Der Kern der Erzählung ist nicht die individuelle Schuld einer Person. Vielmehr passiert in der Johannespassion eine große Wendung: weg von der Schilderung der Gewalt hin zu der eigenen Einsicht, den eigenen Empfindungen. Das, was wir sehen, dort oben am Kreuz, einen leidenden Gott, dem Menschen diese Schmerzen zugefügt haben, das hat mit mir zu tun, mit meinem Leben, hier und jetzt.

 

5. Welchen Wert hat es aus Ihrer Sicht, die Bachsche Johannes-Passion heute aufzuführen und sich damit auseinanderzusetzen?

Für mich ist die Johannes-Passion von Bach eines der eindrücklichsten Zeugnisse, die es in unserer Kultur gibt. Sie erzählt, wie ein Mensch das Leid bis zum Ende durchlitten hat, erzählt von Grausamkeit, Schmerz, Liebe und Erlösung.

Die Bach-Passion hält uns den Spiegel vor, welche verführerische Macht die Masse hat. Schon wer in seiner Filterblase von ein oder zwei Leuten Bestätigung bekommt, traut sich Dinge zu posten, die er alleine niemals sagen würde.

Wenn wir uns heute mit der Johannespassion auseinandersetzen, müssen wir auch über diesen Aspekt sprechen: Die Sätze, die der Evangelist Johannes dem „Wut-Chor“ der Juden in den Mund legt und die Bach so virtuos vertont, wurden jahrhundertelang als Rechtfertigung dafür missbraucht, Jüdinnen und Juden zu diskriminieren und zu verfolgen. Man kann diese Worte so verstehen, als seien die Juden schuld am Tod von Jesus. Aber die Johannespassion zeigt uns, dass es um etwas ganz Anderes geht: Jesus hat sein Leben aus freiem Willen gegeben, um uns, jede Hörerin und jeden Hörer ganz persönlich, mit Gott zu versöhnen. Ich glaube, dass bei jeder Aufführung der Johannespassion auf diese gefährliche Fehlinterpretation hingewiesen werden muss, denn die Saat des Antisemitismus sucht sich an vielen Orten ihre Nahrung.

 

6. Wird die Passion Christi in der Bachschen Johannes-Passion gut wiedergegeben?

Es sind zwei große Stimmen, die diese Passion durchziehen: Die Stimme der Gewalt, deren Opfer Christus wird, und die Stimme des Glaubens, die dieses Opfer versteht als eine Liebestat, durch die wir befreit werden. Ein anderer Mensch, dieser Gott, hat mein Leben gerettet. Die Macht des Todes ist gebrochen. Bach hat mit seiner Musik und den Texten dem Ereignis des Opfertodes eine unnachahmliche Gestalt gegeben.

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