Fragen an den Hirnforscher Prof. Hüther (Göttingen)

... zu Dynamiken bzw. Auswirkungen der modernen (Social-Media)-Kommunikation zwischen Jugendlichen

1a. Inwiefern beeinflussen soziale Medien die Persönlichkeitsbildung der Jugendlichen heute?

Das kommt darauf an, wofür Jugendliche die sozialen Medien benutzen: als “Werkzeuge”, also für Absprachen, Verabredungen und alles, was dazu dient, sich im realen Leben miteinander zu organisieren und sich über gemeinsame Vorhaben auszutauschen. Oder als “Instrumente im Dienst der Affektregulation”, also um ungestillte eigene seelische Bedürfnisse (nach Verbundenheit, nach Anerkennung, nach Zugehörigkeit etc.) ersatzweise auf diesem Weg zu befriedigen. Wer sie als Werkzeuge benutzt, wird in seiner Persönlichkeitsentwicklung dadurch genauso wenig oder genauso stark beeinflußt wie durch die Benutzung anderer Werkzeuge, die Menschen erfunden haben, z.b. Hammer und Meißel. Wer damit seine ungestillten Bedürfnisse zu kompensieren versucht, wird davon abhängig, weil er das, was er in den sozialen Medien sucht, nicht findet und durch die fortwährende Versuche, wie ein Küken durch ständiges Piepsen auf sich aufmerksam zu machen, kaum lernen kann, im realen Leben Freunde zu finden und Bedeutsamkeit zu erlangen.

 

1b. Welcher Unterschied wird dabei im Gegensatz zu der Generation deutlich, die ohne diese aufgewachsen sind?

Geräte, die sich ganz gut als Instrumente zur Affektregulation benutzen lassen, gab es auch schon früher. Fernsehen zum Beispiel eignet sich dafür bestens und davon haben die Elterngenerationen ja auch genügend Gebrauch gemacht (und machen das immer noch). Aber die digitalen Medien sind dafür viel besser geeignet, weil man da nicht warten muß, bis der nächste schmalzige Liebesfilm, der aufregende Krimi oder das spannende Fußballspiel endlich mal läuft. Ungünstig ist jetzt nur, dass neben der Fähigkeit, selbst  dafür zu sorgen, dass man das im Leben auch findet, was man braucht, nun auch noch die Freude darüber verloren geht, dass man es findet, wenn alles jederzeit verfügbar ist.

 

2. Beeinflusst die Fokussierung hunderttausender von Follower auf wenige, einzelne Influencer bestimmte Charaktereigenschaften/

Verhaltensweise bei den Jugendlichen? Wie ist das im Vergleich mit dem Anhimmeln von Idolen früher? (z.B.: Elvis, Che Guevara etc.) Auch dafür waren frühere Generationen nicht weniger anfällig wie die jungen Leute heute. Man braucht sich ja nur mal einen Film mit die Auftritte von Adolf Hitler anzuschauen. Aber damals gab es für alle nur ein Medium, das Radio in Form der Volksempfänger. Heute kann jeder im Internet seine oder ihre jeweiligen Ideen verbreiten und manche finden dann auch massenhaft Anhänger, die ihnen Recht geben und ihnen folgen.

 

3a. Inwiefern unterscheiden sich die Umgangsformen/ Gruppendynamiken von Jugendlichen und Erwachsenen in sozialen Netzwerken?

Wenn man im realen Leben jemanden beleidigt, sieht man ja dessen Reaktion, z.B. den Schmerz, den man dadurch ausgelöst hat. Mancher überlegt sich dann noch einmal, ob das wirklich so o.k. war und ändert seine Aussagen und seine Ausdrucksweise. In den sozialen Medien gibt es eine solche persönliche Begegnung ja nicht, deshalb gibt es auch keine Betroffenheit über das eigenen Tun und das führt dazu, dass manche sich dort benehmen, als seinen sie mit ihren sonderbaren Vorstellungen das Zentrum der Welt.

 

3b. Beeinflussen die Umgangsformen/ Gruppendynamiken aus den sozialen Medien unser Verhalten in der „realen Welt“?

Wer sich im Internet mit seinen Überzeugungen zu Wort meldet und dort auch von anderen Zustimmung bekommt, bildet sich ja ein, er hätte Recht und alle anderen seien bescheuert. Und so benimmt sie oder er sich dann auch allzu leicht draußen in der realen Welt.

 

4. Inwiefern hat die Kommunikation in den modernen Medien Einfluss auf die Gewissensbildung?

Wer keine Gelegenheit hatte, so etwas wie ein Bild von sich selbst, also von der Person, die sie oder er gern sein möchte, herauszubilden, der hat auch keine eigene innere Orientierung und ist von allem und jedem beeinflussbar. Das ist so, als ob man ohne Kompass auf offener See umhertreibt. Und wer so unterwegs ist, wird natürlich ganz leicht zu einem Spielball der in den digitalen Medien von anderen verbreiteten Vorstellungen, worauf es im Leben ankommt.

 

5. Was genau bei der Handynutzung ist für das große Suchtpotenzial verantwortlich?

Süchtig macht ja nicht das Smartphone, sondern wofür man es benutzt. Das Ausmaß eigener Orientierungslosigkeit auf der Suche nach Möglichkeiten, um die beiden Grundbedürfnisse eines jeden Menschen zu stillen: das nach Verbundenheit und Geborgenheit einerseits und das nach Freiheit und Autonomie andererseits führt junge Menschen sehr leicht in Versuchung, diese Bedürfnisse mit diesen digitalen Geräten zu befriedigen. Das macht genauso süchtig wie Alkohol oder Drogen, die jemand benutzt, um seine ungestillten Bedürfnisse besser aushalten zu können.

 

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